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Buchcover "MONDNACHT – Fünf vor Zwölf. Antworten auf die Klimakrise"

Wie die Klimakrise das Bienenleben beeinflusst

Am 20. Oktober 2021 erschien das Buch „MONDNACHT – Fünf vor Zwölf. Antworten auf die Klimakrise“, in dem 21 Autoren unterschiedlichster Fachrichtungen Aspekte zur Klimakrise beleuchten – darunter auch Bienenforscher Prof. Dr. Jürgen Tautz. Bee careful veröffentlicht exklusiv einen Auszug aus seinem Buchkapitel.

Jürgen Tautz
Bienenexperte und bee careful Kooperationspartner Prof. Dr. Tautz

Honigbienen, Kipppunkte und wir Menschen

Honigbienen erschaffen sich mit ihrer Wohnumgebung ihre eigene Welt. Sie stellen mit dem Wachs den Baustoff für ihre Waben her und sie klimatisieren das Nestinnere perfekt angepasst an ihre Bedürfnisse. Sie machen sich so weitgehend unabhängig von den Lebensbedingungen in der Welt außerhalb des Nestes.

Werden sie in ihrer Abgeschiedenheit demnach von der Erderwärmung gar nicht berührt? Hat es keine Auswirkungen auf die Bienen, was außerhalb ihrer selbst geschaffenen Welt vorgeht?

Die Binnenwelt der Honigbienen kennt kaum jemand. Bienen, so wie sie hingegen jeder kennt, sind in der Welt draußen unterwegs. Sie besuchen Blüten, um dabei Nektar und Blütenstaub zu sammeln und als Materie- und Energiebasis zum Erhalt und Ausbau der Kolonie ins Nest zurückzubringen. Sie existieren also keineswegs unabhängig von einer Umwelt, ganz im Gegenteil, sind sie auf das Engste mit den Blütenpflanzen vernetzt. Die einen gäbe es nicht ohne die anderen.

Die unauflösbare Gemeinschaft Honigbienen-Blütenpflanzen trifft per se eine emotionale Dimension unserer Wahrnehmung der Natur. Wir empfinden bunte und angenehm duftende Blüten schön und den Honigbienen bringen wir eine hohe Sympathie entgegen. Dieser Zusammenschluss von Insekten- und Pflanzenwelt ist zugleich unverzichtbar für unsere Ernährung. Wir verdanken der Bestäubungsleistung durch Insekten ganz direkt etwa ein Drittel unserer Ernährung. Ohne diese Arbeit der Insekten gäbe es kein Obst und viele Gemüsesorten würden ausfallen. Indirekt ist die Bedeutung der Bestäubungsleistung sogar noch größer, da nur so viele Pflanzen vermehrt werden können, die, wie der Klee, Nahrung für Rinder sind.

Man müsste die Honigbienen als Verbündete für das Bemühen, weiteste Teile unserer Gesellschaft für ein Sich-Besinnen zu gewinnen erfinden, wenn es sie nicht schon gäbe.

Auf diesen Säulen beruht die Bedeutung der Bienen-Blütenpflanzen-Verschmelzung für uns Menschen und für die Natur:

  1. unverzichtbare Helfer für die Ernährung der Menschheit
  2. Speerspitze für das bedrohte Heer der Insekten
  3. ideale Brücke in die Köpfe der Menschen
  4. Im Sinne von Ernst Peter Fischer perfekter Partner für eine neue Aufklärung, in der Wissen mit Verzauberung einhergeht. E.P.Fischer schreibt: „Konkret müssen Menschen aufhören, die Natur als bloße Ressource anzusehen, und anfangen, in ihr mehr das Schöne als das Schadhafte (Naturzerstörung) wahrzunehmen“ (E.P. Fischer: Vom Staunen in der Welt. Hirzel, Stuttgart 2021).

Was hat das Leben der Bienen und der Insekten ganz allgemein mit der Erwärmung unserer Atmosphäre zu tun?

Für die Welt der Insekten, die es seit rund 480 Millionen Jahren gibt, sind alle drastischen Umweltänderungen eher Motor der Evolution und weniger unlösbare Probleme gewesen. Die Natur erschafft neue Lebensformen, wenn die alten nicht mehr funktionieren. So wird auch die gegenwärtige menschengemachte Klimakrise die sechsbeinigen Überlebenskünstler nicht verschwinden lassen. Die geschätzt etwa 30 Millionen Arten Insekten und die schier unbegreifliche Individuenzahl von etwa einer Trillion – eine Ziffer mit 18 Nullen hinter der Eins – bilden in der Summe ein genetisches Potenzial, aus dem die Evolution immer wieder neue Formen hervorbringen kann.

Das ist die gute Nachricht, hat man die Natur als Ganzes im Auge.
Die schlechte Nachricht betrifft uns Menschen und die Folgen der Folgen der Erderwärmung auf Insekten.

Der Klimawandel zerstört die eingespielte Balance der Biosphäre. Rhythmen laufen auseinander, relevante Umweltparameter ändern sich, Schwellenwerte passen nicht mehr. Das wirkt sich auch auf Honigbienen aus, die sich nur über Selektionsprozesse in langen Zeiträumen an neue Lebensbedingungen anpassen können. Anders der Mensch, der zwar nichts gegen die Ursachen der Veränderungen unternimmt, aber zumindest in übertragenem und konkretem Sinne die Dämme erhöhen kann, die ihn vor erkannten Bedrohungen schützen können. Diese Handlungsoptionen täuschen uns vor, wir könnten uns auch langfristig aus den Gesetzmäßigkeiten der Natur heraushalten, anders als die Honigbienen, die das nicht können.

Das ist aber ein entscheidender Irrtum.
Überschreitet die Erwärmung unserer Atmosphäre einen bestimmten Wert, einem Kipppunkt, dem wir uns derzeit rasant annähern, werden sich komplett neue Lebensbedingungen einstellen, an die wir Menschen von Natur aus nicht angepasst sind. Die Natur kennt für derartige Fälle nur zwei Lösungen: Entweder die nicht angepassten Arten verschwinden, oder die natürliche Selektion sorgt für einen Umbau der Arten zu angepassten Formen.

Die Evolution kann demnach in langen Zeiträumen neue Bienen hervorbringen, angepasst an neue Lebensbedingungen. Die Natur hat dafür die Zeit, wir brauchen uns um die Zukunft der Natur und der Bienen nicht zu sorgen. Und selbst wenn alle Bienen aussterben würden, würde die Natur die Lücke, die sie im Naturgefüge hinterlassen, durch neue ähnlich funktionierende Arten schließen.

Honigbienen, die Speerspitze für das bedrohte Heer der Insekten

„Ein globales Insektensterben könnte für die Zukunft der Menschheit schädlicher sein als der Klimawandel“, diese Vermutung stellte der britische Universitätsdozent, Umweltschützer und Kolumnist George Monbiot im Oktober 2017 in der englischen Tageszeitung The Guardian auf. Vor einem „Insekt-Ageddon“, also einer endzeitlichen Katastrophe, ist gar die Rede.

Dabei ist es wichtig zu begreifen, dass Klimawandel und Insektensterben keine unabhängigen Vorgänge sind, die Erderwärmung ist eine der treibenden Kräfte der Veränderung der Insektenwelt. Jedes Lebewesen besitzt für jeden Umweltparameter, wie z. B. die Temperatur, einen Bereich, innerhalb dessen es sich optimal entfalten kann. Eröffnen sich auf der Erde in neuen Regionen neue „Fenster“, rücken die Lebewesen nach, die von Natur aus genau daran angepasst sind. So zieht die Veränderung des Erdklimas eine Veränderung der Zusammensetzung auch der Insektenwelt nach sich. Diese Veränderung läuft durch die globalen menschengemachten Verkehrsströme sogar beschleunigt ab, da Lebewesen in einem Ausmaß als „blinde Passagiere“ in einem Tempo um den Globus reisen und in neue Regionen vordringen können, wie es unter natürlichen Umständen sehr viel langsamer oder sogar überhaupt nicht stattfinden würde.

Über Ursachen und Hintergründe gibt es bisher noch viel zu wenig nach wissenschaftlichen Standards erhobene Daten. Das hat auch damit zu tun, dass die folgenreichsten Vorgänge langsam ablaufen, sieht man von Katastrophenfällen ab, in denen im Zeitraffer vor Augen geführt wird, welche Dynamiken sich zu entfalten beginnen.

Sie brauchen uns nicht, wir brauchen sie

Insekten haben auf unserer Erde im Verlauf von Jahrmillionen eine unseren Augen zumeist verborgene Parallelwelt entfaltet. Man schätzt die Anzahl der Arten auf weltweit bis zu 30 Millionen. Vermutlich kommen auf jeden Menschen etwa 200 Millionen Ameisen und sie repräsentieren nur einen Bruchteil der gesamten Insektenbiomasse. Viele Zeitgenossen sehen Insekten vor allem als lästige Unruhestifter und Schädlinge, für sie mag ihr Verschwinden ein Grund zur Freude sein. Tatsächlich ist es aber eine Katastrophe: Denn sie brauchen uns nicht, aber wir brauchen sie.

Insekten gestalten und erhalten nämlich die Welt, die auch wir zum Leben brauchen. Sie nehmen zentrale Aufgaben im Netzwerk der Natur wahr, zum Beispiel indem sie Pflanzen bestäuben. Diese Pflanzen bilden die Nahrungsgrundlage für unübersehbar viele Tierarten und eben auch für uns Menschen. Hinzu kommt, dass Insekten selbst auf dem Speisezettel vieler Tiere stehen. Ohne Insekten sind die meisten Singvögel nicht in der Lage, ihre Jungen aufzuziehen. Und ohne Singvögel fehlen wichtige Helfer, die Schadinsekten vertilgen.

Wenn die Insekten sterben, dann steht das gesamte Netzwerk, in dem Tiere und Pflanzen eng verwoben sind, auf dem Spiel. Die Welt wird zur Ödnis, so würde die bunte Vielfalt der Blütenpflanzen zusammenbrechen. Für uns Menschen wäre die Einbuße an Lebensqualität zu erwarten. Vor allem aber werden wir nicht mehr in der Lage sein, von den faszinierenden Fähigkeiten der Insekten zu lernen. Dazu kommt ein riesiges Arsenal an biochemischen Verbindungen, die in der Insektenwelt synthetisiert werden, die uns unschätzbare Dienste leisten können, etwa im Kampf gegen immer schwerer zu beherrschende Bakterienstämme. Ohne antibakteriell, antiviral und antimykotisch wirkende körpereigene Substanzen könnten Insekten nicht überleben. Diesen Schatz haben wir für unsere Zwecke noch nicht annähernd gehoben.

Die Erderwärmung schafft unter den Insekten Gewinner wie Verlierer. Manche Arten, wie bestimmte Stechmücken mit allen unschönen Viren, die sie in ihrem „Gepäck“ mit sich bringen, erweitern der Wärme folgend ihr Verbreitungsgebiet und machen so den ursprünglich einheimischen Arten Konkurrenz, bis hin zu deren kompletten Verdrängung. Viele Insekten sind in ihren Entwicklungsstadien an den Jahresverlauf der Klimaparameter angepasst. Ändern sich diese, bedroht es die Existenz dieser Arten. Zunächst die Empfindlichsten, dann die nächsten und so immer weiter.

Quelle:
Auszug aus: MONDNACHT – Fünf vor Zwölf: Antworten auf die Klimakrise. Hrsg. Ch. Verfuß & F. Erdmann. Trabanten Verlag Berlin; 1. Edition (20. Oktober 2021), 580 Seiten, ISBN: ‎3982264979

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