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Buchcover von Menschen und Bienen

Menschen und Bienen – Ein nachhaltiges Miteinander in Gefahr

Das Zusammenleben von Mensch und Honigbiene umfasst eine Vielzahl von Gesichtspunkten, die möglichst umfassend nur durch eine transdisziplinäre Betrachtung ausgelotet werden können.

Jürgen Tautz
Bienenexperte und bee careful Kooperationspartner Prof. Dr. Tautz

Aufklärung und Bildung!

Ein Gespräch über Stärken und Faszination der Honigbienen

Jürgen Tautz

Stephan Lorenz & Kerstin Stark: Bei der neueren öffentlichen Aufmerksamkeit für Honigbienen geht es vor allem um ihre Gefährdung oder die Gefährdung der von ihnen geleisteten Blütenbestäubung. Mangelnde Bestäubung würde sowohl für Ökosysteme als auch für die Landwirtschaft zum Problem werden. Offensichtlich sind Menschen heute in hohem Maße von den Honigbienen abhängig. Bevor man nach ihrer Gefährdung fragt, muss deshalb zunächst gefragt werden, wie die Honigbienen diese große Bedeutung erlangen konnten. Was macht also die Stärke der Honigbienen aus? Warum sind die Honigbienen eigentlich ökologisch so erfolgreich? Wie konnten sie pflanzliches Leben und darüber auch menschliches Leben derart abhängig von ihrer Bestäubungsarbeit machen?

Jürgen Tautz: Biologisch betrachtet konnten Honigbienen evolutionäre Vorteile entwickeln. Um diese zu verstehen, muss man etwa 300 Millionen Jahre zurückblicken. Die ersten Landpflanzen entdeckten ziemlich schnell, dass Sexualität zu einer Steigerung der genetischen Vielfalt führt und damit eine enorm wichtige Voraussetzung für die Evolution ist. Verschiedene Pflanzen erfanden weibliche und männliche Gameten, die dann allerdings auch zusammengebracht werden mussten. Zu Beginn wurde das über Regen und Wind ermöglicht. Das ist aber nicht sehr effizient. Die Ineffizienz dieser Bestäubungssysteme sehen Sie, wenn Sie Ihr Auto einmal unter einer Kiefer parken: kiloweise Blütenstaub in endloser Verschwendung! Eine gute Erfindung also, als die ersten Bestäuberinsekten aufkamen. Denn in dem Moment, in dem es einen Transporteur für den Blütenstaub gibt, kann es sich die Pflanze viel einfacher machen. Sie muss viel weniger Pollen erzeugen. Rosenkäfer beispielsweise fressen Blüten, jedenfalls einen Teil davon, und tragen dabei den Pollen von der einen zur nächsten Blüte. Dieses Bestäubungssystem ist effizienter, allerdings mit Opfern auf Seiten der Pflanzen verbunden. Es war eine weitere Erfindung der Pflanzen, den Insekten etwas zu bieten, das ihnen als Nahrung dient, nämlich Nektar. Dazu kommt die Entwicklung auffälliger Blüten. Auffallende Optik, auffallender Duft, Gestalt und Farbe der Blüten – denn wie das in der Natur so ist, wenn Sie etwas zu bieten haben, müssen Sie auffällig und unterscheidbar werden und sich gegen Konkurrenten durchsetzen. Hand in Hand mit dieser unglaublichen Diversifizierung in der Pflanzenwelt kam es auch zu einer Diversifizierung der Bestäubungsinsekten. Als Biologen hätte es uns nicht gewundert, wenn jede Blütenpflanze im Laufe der Evolution einen eigenen Bestäuber hervorgebracht hätte, angepasst an die zu bestäubende Pflanze. Das ist in vielen Bereichen auch geschehen, zum Beispiel bei den solitären Wildbienen. Sie sind von ihren Eigenschaften und ihrer Wahrnehmungswelt her an einzelne Blüten angepasst.

Die Honigbienen sind aber einen anderen Weg gegangen. Als staatenbildende Bienen haben sie gegenüber Solitärbienen und anderen bestäubenden Insekten, wie Käfern, Fliegen oder Schmetterlingen, eine ganze Reihe von Vorteilen. Als Superorganismus in einer Kolonie zusammenzuleben, eröffnet ihnen ganz andere Möglichkeiten. Es vermindert vor allem direkte Abhängigkeiten gegenüber der Umwelt. Sie können sich die Welt selbst erschaffen, in der sie existieren. Ein Bienenstock ist eine eigene Welt, in der alles geregelt ist, was das Leben der Bienen betrifft. Für Studierende veranschauliche ich das gern anhand einer künftigen Kolonisierung von Planeten: Die Kolonisten werden unter einer Glasglocke leben, in der alles für das menschliche Leben Nötige enthalten ist. Aber hin und wieder müssen Einzelne die Glasglocke verlassen, um Energie und Materie zu beschaffen. Nur deswegen verlassen auch die Bienen den Stock, aus der Notwendigkeit heraus, Material und Energie herbeischaffen zu müssen. Die relative Unabhängigkeit von der Umgebung hat es unserer Europäischen Honigbiene ermöglicht, nach der Eiszeit von Afrika aus in nördliche Breiten vorzudringen. Ja, man muss sogar davon ausgehen, dass sie mit ihrer Ausbreitung die Pflanzenwelt um sich herum selbst verändert, also auch in diesem Sinne ihre eigene Welt gestaltet hat.

Honigbienen können außerdem als Volk den Winter überleben. Auch unter den staatenbildenden Insekten sind sie damit eine Besonderheit. Andere, wie Hummeln oder Wespen, können das nicht, da überlebt nur die Königin den Winter. Damit haben die Honigbienen einen Startvorteil, sie sind sozusagen die erste ‚Streitmacht‘, die mit Frühlingsbeginn die ersten Blüten besuchen kann, lange bevor andere Insekten so weit sind. Aus dem Umstand, dass die Bienenwelt ganzjährig erhalten werden muss, ergibt sich gerade ihre besondere Nützlichkeit für die menschlichen Belange. Denn so haben sie ganzjährig die Motivation, Energie zu beschaffen und somit Blüten zu besuchen, von der ersten bis zur letzten Blüte. Wildbienen dagegen haben nach dem Ende der Eiablage keine Motivation mehr, weiter Blüten zu besuchen. Zurück also zur Frage, was die Honigbienen so überlegen macht: Vor allem die vielen Tricks, die ihnen zur Verfügung stehen, um ihre eigene Welt zu schaffen, in der Umwelteinflüsse wesentlich reduziert werden und ein sehr konstantes Lebensumfeld geschaffen wird.

SL & KS: Einerseits ist es dieser Erfolg der Honigbienen, der sie so wichtig auch für die menschliche Nahrungsmittelerzeugung hat werden lassen. Menschen haben sich aber auch in diese Abhängigkeit begeben. Nordamerika ist ein besonderes Beispiel. Die Honigbiene wurde erst durch die Einwanderungen aus Europa eingeführt, das heißt zuvor ist man hier ohne diese Art von Bestäubung ausgekommen. Wenn heute mit den Honigbienen auch die landwirtschaftliche Bestäubung gefährdet ist – ist das ein ‚hausgemachtes’ Problem? Kann man wieder zurück, wäre das eine Lösung?

Jürgen Tautz: Die Notwendigkeit der Insektenbestäubung gibt es überall da, wo es Blütenpflanzen gibt. Die Gattung Apis ist in Asien entstanden, unsere Apis mellifera in Ostafrika. Nordamerika war ursprünglich vor allem Grasland, das heißt bestehend aus Pflanzen, die windbestäubt und deshalb nicht auf Bestäuberinsekten angewiesen sind. Die Bestäubung der wenigen Blütenpflanzen, die es da gab, konnte von Wespen, Hummeln oder Käfern erledigt werden. Um 1600 wurde die Honigbiene in Nordamerika eingeführt – die europäischen Auswanderer hatten Hühner, Ziegen, Pferde, Kühe und eben auch Bienen dabei. Es gibt die Theorie, dass die Verbreitung der Honigbiene durch ausgewilderte Völker sehr schnell erfolgt ist und dass dies zu einer Verschiebung der Vegetationszusammensetzung geführt hat. Manche Pflanzen sind also zurückgegangen, andere, auch wegen der Ausbreitung der Honigbienen, in den Vordergrund gerückt.
Bestäuberinsekten, in dem Fall die Bienen, haben zu Blütenpflanzen eine nicht auflösbare gegenseitige Abhängigkeit entwickelt. Und wir Menschen haben mit der Landwirtschaft eine sekundäre Symbiose hinzugefügt: Wir brauchen Bienen – und Bienen brauchen uns. Letzteres deswegen, weil sie in unserer Kulturlandschaft nicht mehr genügend geeignete Nisthöhlen finden. Die Biene ist ja ursprünglich eine Waldbewohnerin. Wenn ich den Bienen ihre natürlichen Nisträume nehme, hohle Bäume, dann muss ich ihnen künstliche anbieten. Jedenfalls gibt es heute in Nordamerika eine andere, auf Bestäuberinsekten angewiesene Vegetation, wegen der landwirtschaftlichen Anpflanzungen und auch wegen der Bieneneinführung. Dahinter kann man nicht einfach zurück. Es ist auch vor allem ein quantitatives Problem: Zu viele Blüten auf den Riesenplantagen, die bestäubt werden müssen.

SL & KS: Auf der Internetseite zu Ihrem interaktiven Bildungsportal HOney- Bee Online Studies (HOBOS), heißt es unter der Überschrift „Die Honigbiene – ein Erfolgsmodell“ sogar, dass Honigbienen „spezialisierten Konkurrenten keinen Raum für eine Coexistenz lassen. Das ist Globalisierung und Monopolbildung im Tierreich.“1

Jürgen Tautz: Ja, allerdings geht es uns nicht darum, wie bedauerlicherweise in der Diskussion gelegentlich geschehen, Honigbienen gegen andere Insekten auszuspielen. Es ist tatsächlich so, dass andere blütenbesuchende Insekten zusehen müssen, wie sie gegen die Bienenkonkurrenz ankommen. Unter extremen Bedingungen, wenn also über große Flächen massiv Honigbienen eingesetzt werden, können sie andere Insekten sicher auch verdrängen. Allerdings sind die Spezialisierungen der anderen Arten gegenüber Honigbienen wiederum von Vorteil. Nehmen wir zum Beispiel die Größe und Gestalt der Blüten. Da gibt es Blühanlagen, mit denen Wildbienen besser zurechtkommen, weil ihre Mundwerkzeuge besser geeignet sind. Oder wenn Sie sich die Daten im HOBOS-Portal ansehen, ab welcher Temperatur Bienen ausfliegen, so liegt der Wert bei etwa zwölf bis 15 Grad Celsius. Hummeln können aber schon ab etwa vier Grad fliegen. Das heißt, wenn es den Honigbienen noch zu kalt ist, haben die Hummeln ein offenes Zeitfenster. Sie sind morgens die ersten und abends die letzten Insekten an den Blüten. Hummeln werden ja auch zur Bestäubung eingesetzt. Aber wenn Sie Hummeln und Honigbienen vergleichen, dann brauchen Sie etwa 500 Hummelvölker, um die Bestäubungsleistung eines Bienenvolks zu ersetzen. Der Vorteil von Hummeln ist, dass ihre Völker nicht überwintern, also sowieso absterben. Es ist, so hart es klingt, ein Ex-und-Hopp-Geschäft: Da werden Pappkartons mit hundert Völkern in Gewächshäuser gestellt und am Ende vernichtet.

Es gibt also Konkurrenz zwischen den bestäubenden Insekten, aber sie ergänzen sich auch. Und manchmal sind gegenseitige Störungen sogar wichtig! Wir haben vor vielen Jahren einmal eine Untersuchung in Südafrika gemacht, die mittlerweile von Alexandra Klein im Prinzip auch bestätigt worden ist. Das Experiment ging damals so: Es gab zwei Vergleichsfelder mit Sonnenblumen. Ein Feld war mit einem Netz überspannt, unter dem nur Honigbienen eingesetzt wurden. Das andere Feld blieb offen, so dass neben Honigbienen auch Schmetterlinge, Wildbienen und Fliegen Zugang hatten. Das interessante Ergebnis war, dass auf dem Feld mit den vielen verschiedenen bestäubenden Insekten der Ertrag an Sonnenblumenkörnern höher war als auf dem Feld, auf dem nur Honigbienen fliegen konnten. Eine Erklärung dieses Ergebnisses ist, dass die naive Vorstellung, eine einmalige Befruchtung eines Blütenstandes sei ausreichend für ein optimales Ergebnis, völlig falsch ist. Blüten, die mehrfach bestäubt werden, produzieren auch qualitativ hochwertigere Produkte, also mehr Äpfel, größere Äpfel, besserer schmeckende Äpfel. Unsere Erklärung für das Ergebnis des Experiments war, dass Bienen von den anderen, ebenfalls an der Blüte interessierten Insekten gestört werden und dass diese Störung einen günstigen Effekt für die Pflanze hat. Wenn sich eine Biene nicht gestört fühlt, trinkt sie bis entweder der Magen voll oder der Nektar erschöpft ist. Die gleichzeitige Präsenz von Honig- und Wildbienen führt zu einer gegenseitigen Störung und damit zu einer häufigeren Bestäubung der einzelnen Blüten und im Ergebnis zu einer besseren Ernte. Geschützt werden müssen deshalb alle bestäubenden Insekten.

SL & KS: In den vergangenen Jahren wurde das HOBOS-Portal auf- und immer weiter ausgebaut. Nach vielen Jahren in der Bienenforschung engagieren Sie sich zunehmend für öffentliche Wissensvermittlung zu Bienen. Wie kam es dazu?

Jürgen Tautz: Wenn man lange in der Wissenschaft ist, verfestigt sich der Eindruck immer mehr, dass auf der einen Seite zwar die Menge an Wissen aus der Grundlagenforschung immer mehr zunimmt, aber gleichzeitig auf der anderen Seite die Probleme zunehmen. Das ist doch eigentlich eine kuriose Entwicklung. Eigentlich sollte es so sein: Je mehr die Menschheit weiß, desto klüger und verantwortungsvoller sollte sie handeln und desto weniger Probleme sollte es geben. Aber ganz offenbar ist das Gegenteil der Fall. Vor diesem Hintergrund ist mein Ansatz: Aufklärung und Bildung! Wenn ich einen Artikel über Honigbienen in einer Fachzeitschrift für Bienenwissenschaft publiziere, dann hat die Zeitschrift weltweit eine Auflage von vielleicht 300 Exemplaren, gelesen wird der Artikel dann vielleicht – wenn es gut läuft – von 100 Leuten. Dazu kommt, dass die, die erreicht werden, in der Regel Teil der wissenschaftlichen Community sind. Und diese betreibt vielfach Selbstbefruchtung mit wenig oder kaum erkennbaren Konsequenzen hinaus in die Gesellschaft. So stellte sich mir die Frage, wie wir aus der Wissenschaft heraus zumindest einen kleinen Beitrag leisten können. Dabei lässt es sich als enormes Glück sehen, dass Bienen per se einen enorm hohen Sympathievorschuss bekommen. Sie könnten Ihr Buch auch über Regenwürmer herausgeben – die sind ökologisch auch enorm wichtig, aber da werden sie kaum jemanden für interessieren können. Spannend ist die Frage, woher das kommt.

Meine Idee dazu ist, dass die Sympathie für Bienen auch angeboren sein könnte, so wie eine gewisse Aversion gegen Spinnen und Schlangen angeboren ist. Die Gründe dafür sind in der Vergangenheit zu suchen: Spinnen und Schlangen bedeuteten eine große Gefahr, Honigbienen dagegen versprachen Genuss. Vor etwa vier Millionen Jahren gab es in Ostafrika den Australopithecus, ein sehr früher Vorläufer des Menschen. Dieser lebte von Käfern, Wurzeln, auch Aas – kein sehr attraktiver Speiseplan. Wenn die jetzt auf ein Bienennest mit Honig stießen, dann bedeutete das einen ungeheuren Genuss.

SL & KS: Ja, Bienen sind auf jeden Fall Sympathieträger, kulturgeschichtlich ist das Bild der Biene aber auch von einer gewissen Ambivalenz geprägt, weil Bienen eben auch stechen.

Jürgen Tautz: Dadurch hat man einen gewissen Respekt, das macht sicherlich auch einen Teil der Faszination aus, die von Bienen ausgeht und die wir für die Bildungsarbeit nutzen wollen. Eines der Ziele ist es, HOBOS fest in Schulcurricula zu verankern. Das Projekt bietet Vieles, was in einem modernen Unterricht erwartet wird: Es ist fächerübergreifend und fördert viele Kompetenzen. In Abhängigkeit von der Jahrgangsstufe sind Schülerinnen und Schüler an verschiedensten Dingen interessiert, die die Bienen bieten, und sind mit Spaß dabei. Bei Kindern lässt sich beispielsweise Begeisterung entfachen, wenn sie hören, dass Honig eigentlich ‚Bienenkotze‘ ist, das finden die ganz toll. Ein Problem bleibt dennoch die finanzielle Basis von HOBOS. Gelobt wird das Projekt von vielen wichtigen Stellen und Personen, aber oft muss ich mehr Zeit dafür aufbringen, Unterstützung zu organisieren, als für die inhaltliche Arbeit bleibt.
HOBOS war zwar zunächst als Bildungsplattform motiviert. Aber es werden damit zugleich neue Daten generiert, die für die Grundlagenforschung eingesetzt werden können. Hier ergänzen sich Bildung und Forschung! Wir stellen ja alles online. Wer will, kann die Bienen im Internet jederzeit live beobachten und die ganzen Beobachtungsdaten sind sozusagen in Echtzeit weltweit nachvollziehbar. Wir sind gerade dabei, in sieben verschiedenen europäischen Ländern solche Stationen wie hier aufzubauen und ein Netzwerk zu bilden, um auf diese Weise langfristig zu untersuchen, wie regionale Einflüsse, Klimawandel und so weiter auf interne Parameter des Bienenvolkes wirken. Es gibt erste Kolleginnen und Kollegen, die sich unsere Datensätze vornehmen und eigene Entdeckungen machen. Das entspricht der Philosophie des Projekts, dass es ein offenes Forschungslabor für alle ist.

SL & KS: Es lässt sich zweifellos viel Interessantes über Honigbienen lernen. Aber wenn man einen öffentlichen Bildungsanspruch formuliert, kann man auch sagen, dass man etwas von den Bienen oder genauer gesagt: durch die Beschäftigung mit ihnen lernen kann?

Jürgen Tautz: Zunächst einmal kann man viel über ökologische Zusammenhänge lernen und unsere Beschäftigung mit den Bienen soll für einen verständigeren und sorgsameren Umweltzugang sensibilisieren. Aber im Grunde kann man besser umgekehrt fragen: Was lässt sich nicht lernen? In unserem Bildungsprojekt HOBOS setzen wir die Bienen als Brücke für alle möglichen Gebiete ein. Die Biene ist auch ein Vorbild für Gesellschaftsstrukturen. Wenn Sie etwa überlegen, dass die Biene für alle möglichen Gesellschaftsformen als Modell herangezogen wurde und noch wird. Im alten Ägypten, als Ober- und Unterägypten vereinigt worden sind, hat der Superpharao den Titel ‚Der Bien‘ bekommen. Aristoteles hat anhand der Bienen über eine optimale Staatsform nachgedacht. Oder: Ein aktuelleres Beispiel ist das Buch von Thomas Seeley zur ‚Bienendemokratie‘. Er diskutiert, was sich von der Funktionsweise eines Bienenvolks, von der Art, wie Entscheidungen gefällt werden, für die menschliche Gesellschaft lernen lässt. Hier gibt es keine Hierarchie, sondern gelebte Basisdemokratie.

Auch die Technik ist ein Bereich, der viel von den Bienen lernen kann – die ‚Bee-onik‘, also abgeleitet von Bionik. Das reicht vom Thema nachwachsende Rohstoffe bis hin zu Algorithmen, basierend auf der ‚Verkehrsregelung‘ von Bienen am Flugloch ihres Bienenstocks. Das können Sie sich im HOBOS live anschauen, was am Flugloch los ist, ohne dass es Zusammenstöße gibt. Ich wurde beispielsweise zu einem Vortrag eingeladen auf eine Veranstaltung mit europäischen Topmanagern der Automobilindustrie, die sich für solche Fragen interessierten. Ein anderes Beispiel sind die Waben. In der Industrie werden Wabenstrukturen in verschiedenen Bereichen eingesetzt, z.B. für den Aufprallschutz in Autotüren. In der Herstellung wurden solche Waben aus einem Stück herausgefräst, was umständlich und nicht besonders preisgünstig ist. Wir nahmen die Frage wieder auf, die schon Johannes Keppler beschäftigt hatte: Wie kriegen die Bienen diese Regelmäßigkeit hin? Wespen bauen auch sechseckige Zellen, aber schief. Bienen arbeiten exakt, da stimmen die Winkel genau. Keppler meinte daher, dass Bienen einen mathematischen Verstand hätten. Wir haben also die Frage nochmal mit moderner Technik untersucht. Das Ergebnis war, dass Bienen runde Zylinder bauen, keine sechseckigen Zellen. Sie bauen sie dicht an dicht, anschließend geht in jede der neugebauten Zellen einer Heizerbiene und erwärmt das Wachs auf etwas über 40 Grad. Das Wachs beginnt zu fließen, und die Wände fließen mit den Nachbarzellen zusammen, wodurch diese sechseckige Form entsteht. Diese Untersuchung haben wir in der Fachpresse publiziert und abgehakt. Nach zwei Wochen klingelte das Telefon, mit aufgeregten Kollegen vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum in Braunschweig: Genial, genial! Mit denen zusammen haben wir hier sogar ein Patent zur Wabenentstehung, und mit Technikern von der TU Clausthal wurden Prototypen entwickelt.

SL & KS: Wenn wir auf die Gefährdung von Bienen zurückkommen, welche Aufgabe kommt der Wissenschaft hierbei zu?

Jürgen Tautz: Die genuine Aufgabe der Wissenschaft ist die Grundlagenforschung. Das Ziel der Forschung müsste eigentlich darin bestehen, dauerhaft und weltumspannend intakte Bienenvölker zu garantieren. Aber die Frage ist, ob die Wissenschaft das leisten kann. Ich muss dann verstehen, welchen Problemen Bienen ausgesetzt sind, was Bienen dagegen tun können und was wir dagegen tun können. Wir wissen, dass Bienen verschiedene Abwehrfronten entwickelt haben. Die reichen von der Auswahl des Nistplatzes über dessen Ausstattung und die Ernährung bis hin zum körpereigenen Immunsystem. Es gibt eine ganze Reihe von bienenspezifischen Krankheiten – Bakterien- und Viruserkrankungen, Pilze und Parasiten. Nehmen wir zur Vereinfachung einmal an, dass das zehn verschiedene wären. Dazu kommen Umwelteinflüsse, wie Klima oder Agrochemie, sagen wir, das seien fünf. Um zu erfahren, wie sich diese Faktoren auswirken, muss ich als Naturwissenschaftler nacheinander jeweils einen dieser Parameter verändern und alle anderen konstant halten. Außerdem muss ich berücksichtigen, dass es Interaktionen gibt. Das heißt, ich muss nicht nur die Auswirkung eines Parameters auf die Abwehrfronten untersuchen, sondern die von zwei und mehr Parametern, zum Beispiel von Umwelteinfluss plus Viruserkrankung auf die Abwehr. Am Ende, ich habe das mal kalkuliert, komme ich auf etwa 10.000 verschiedene Experimente, die ich machen müsste. Um belastbare Aussagen treffen zu können, müsste ich die Experimente noch reproduzieren, sagen wir fünfmal. Das sind 50.000 Experimente. Aber wer soll das machen und bezahlen? Es ist also eigentlich nicht verwunderlich, dass als Erklärung zum Thema Bienensterben, ich sage es mal drastisch, jede Woche eine neue Sau durchs Dorf gehetzt wird. Egal wo Sie ansetzen, Sie werden einen Effekt finden. Vor diesem Hintergrund könnte man also deprimiert aufgeben.

Was helfen kann, ist die Natur selbst beziehungsweise das Beobachten, wie die Natur das regelt. Der Schlüsselmechanismus ist hier die Selektion. Ein Beispiel: DDT wurde als heilbringend gepriesen gegen Stechmücken, die Malaria verbreiten. Heute können Sie Stechmücken mit DDT nur noch töten, wenn Sie mit der Dose nach ihnen werfen. Weil sie resistent geworden sind. Ein Ansatz bei Honigbienen könnte also sein, dass wir großflächige Gebiete schaffen, in denen wir die Bienen sich selbst überlassen und dabei beobachten, was passiert. Züchtung ist hier übrigens keine wirkliche Alternative. Zucht ist ein Ansatz, der zum Beispiel bei der Varroa-Bekämpfung verfolgt wird. Dabei muss einem aber eigentlich klar sein, dass es nicht den Hauch einer Chance gibt. In eine Bienengeneration passen sieben Varroa-Generationen. Das heißt, was immer Sie an genetischen Veränderungen machen, die Varroa hält dagegen und zwar siebenmal so schnell. Züchtung ist sogar in bestimmter Hinsicht recht riskant. Sie zielt auf die Vermehrung einer bestimmten Eigenschaft unter Verlust anderer Eigenschaften und kann damit zu einer Einengung des Erbguts führen. So besteht das Risiko, dass eine Situation eintritt, in der diese nun verlorenen Eigenschaften gebraucht werden. Die Bandbreite der Eigenschaften war ja mal zu etwas gut und kein Luxus. Wenn wir uns dagegen entschließen würden, uns in großen Gebieten nicht mehr um Bienen zu kümmern, niemand mehr, dann würden 98 Prozent der Bienen ziemlich schnell verschwinden. Aber irgendwo würde eine Mutation auftreten, die es schafft, und von der ausgehend könnte man neu aufbauen. Das klingt alles sehr negativ. Man soll nicht befürchten, dass alles sinnlos ist, aber man sollte auch nicht den Schluss ziehen, dass der Wettlauf zu gewinnen ist. Was wir erreichen können, ist, dass es nicht noch schlimmer kommt. Ich verwende gern das Bild von der Roten Königin aus ‚Alice im Wunderland‘, die rennen muss, damit sie auf der Stelle bleibt. Wenn wir uns anstrengen, können wir Schlimmeres verhindern.

Quellen:
1 http://www.hobos.eu/de/studenten/lehrmaterial/bienenbiologie/die-honigbiene-ein-erfolgsmodell.html

Wer mehr zu Thema erfahren oder über den eigenen Bienentellerrand hinaus schauen möchte, dem sei das Buch „MENSCHEN UND BIENEN – Ein nachhaltiges Miteinander in Gefahr (Hrsg. S.Lorenz und K.Stark) empfohlen.

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