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Bienen denken und fühlen

Können Bienen denken und fühlen?

In einer wunderbaren neuartigen Dokumentation "Tagebuch einer Biene" lässt der Regisseur und Autor Dennis Wells zwei Bienenarbeiterinnen deren Alltag selbst schildern. Der so aufgebaute Einblick in eine fiktive Denk- und Gefühlswelt der Bienen bringt uns die Bienen sehr nahe. Sie werden zu selbstlosen, denkenden und fühlenden Persönlichkeiten. Aber denken und fühlen Bienen tatsächlich? Sind sie wirklich selbstlos?

Jürgen Tautz
Bienenexperte und bee careful Kooperationspartner Prof. Dr. Tautz

Der folgende Dialog, entnommen und minimal verändert aus dem Buch „Die Honigfabrik: Die Wunderwelt der Bienen – eine Betriebsbesichtigung“ (J. Tautz & D. Steen, gtvh 2017), ist der Versuch einer Annäherung.

Ein Laie fragt:
Können Bienen denken und fühlen? Sind Bienen selbstlos? Oder anders gefragt: Was halten Sie von der Übertragung geistiger Fähigkeiten oder gar menschlicher Charaktereigenschaften auf die Honigbienen?

Ein Fachmann antwortet:
Es ist ein wesentliches Merkmal einer Wissenschaft, dass sie mit klar definierten und allgemein akzeptierten Begriffen arbeitet. Solche Begriffe sind oft sehr sperrig und die dahinterstehenden Konzepte hochkomplex, sodass sie sich kaum für einen Einsatz außerhalb der engen Fachwelt eignen. Will man Sachverhalte für ein interessiertes Laienpublikum darstellen, dann drängt es sich geradezu auf, Begriffe einzusetzen, die auf der Basis allgemeiner Alltagserfahrungen rasch bestimmte Vorstellungen entstehen lassen. Diese sollten nicht allzu weit von einer fachlich sauberen Erfassung des diskutierten Sachverhaltes sein, können aber meistens nicht vermeiden, dass die entstehenden Bilder dann doch etwas schief sind.

Der Laie:
Das klingt vorsichtig kritisch. Können Sie konkreter werden?

Der Fachmann:
Im Zusammenhang mit der Entstehung von Sozialverhalten auch bei den Honigbienen ist
z. B. der Begriff des „egoistischen Gens“ eingeführt worden. Natürlich kann ein Gen niemals egoistisch sein, aber die Auswirkungen des Einflusses solcher Gene können so beschaffen sein, als hätte das Gen die Eigenschaft, egoistisch zu sein. Der eingesetzte Begriff fasst aber einen komplexen Sachverhalt extrem verdichtet zusammen: Im Laufe der Evolution waren und sind diejenigen Gene vorteilhaft, die ihren Trägern Eigenschaften zu einem Vorteil bei der Erzeugung von Nachkommen verhalfen. So konnten Menschen, die ein Gen trugen, das die Verdauung von Milch auch im Erwachsenenalter möglich machte, sich in Nordeuropa ausbreiten, weil sie als die Menschen begannen, Vieh zu halten, nicht nur das Fleisch und Blut dieser Tiere nutzen konnten, sondern eben auch die Milch. Das bedeutete einen enormen Vorteil in Hungerzeiten, weil man einen langfristig erneuerbaren Nahrungsvorrat besaß. Entsprechend mehr Nachkommen bekamen Träger dieses Gens und heute ist in Nordeuropa eine Lactoseintoleranz, anders als z. B. in Asien, eine Seltenheit. Ist darum aber das Gen, das die Verdauung von Milchzucker ermöglicht, egoistisch? Waren die Träger dieses Gens egoistisch? Oder waren sie einfach nur besser angepasst an die Härten ihrer Umwelt?

Der Laie:
Ich glaube, ich ahne was Sie meinen. Geht es noch ein bisschen einfacher?

Der Fachmann:
Um uns den Bienen zu nähern, möchte ich die Verhaltensbiologie aufgreifen. Hier wird gerne auch von zielgerichtetem Verhalten und von Verhaltensstrategien gesprochen. Man kann getrost davon ausgehen, dass Tiere wie die Bienen nicht wirklich ein Ziel verfolgen und nicht wirklich eine geplante Strategie an den Tag legen. Aber Tiere, wie auch die Bienen, verhalten sich, wenn sie erfolgreich sind, so, als hätten sie Plan und Ziel. In der Konkurrenz der Lebewesen untereinander überleben und vermehren sich diejenigen erfolgreicher als andere, die ihre Abläufe so gestalten, als hätten sie Plan und Ziel. Diejenigen, bei denen das nicht so ist, werden verschwinden.

Der Laie:
Mir klingt das noch immer sehr akademisch. Können Bienen nun denken, planen und selbstlos sein?

Der Fachmann:
Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber Ihre Fähigkeit zu denken, zu planen und Ihre Bereitschaft, selbstlos zu handeln, leite ich ab aus den Informationen, die ich von Ihnen und über Sie erhalten kann und aus der Übertragung meiner Selbsterfahrung auf Sie. Das erscheint mir gerechtfertigt, da Sie und ich doch höchst ähnliche Systeme sind.
Der Schritt zu den Bienen ist etwas anderes. Wenn etwas so aussieht „als ob“ (wie im Falle der „egoistischen“ Gene), müssen schon sehr überzeugende Gründe auf den Tisch, wenn dieses „als ob“ nicht nur als Bild eingesetzt wird, sondern mit der Begriffsverwendung zugleich die Festlegung auf Mechanismen und innere Vorgänge verbunden ist.

Bienen verhalten sich, als ob sie denken könnten, als ob sie planen würden und als ob sie selbstlos wären. Mehr können wir nicht aussagen.

Das degradiert die Bienen aber in keiner Weise, sondern ganz im Gegenteil: Mit dem Bienenstaat hat die Natur einen Superorganismus hervorgebracht, der (fast) alles richtig macht, auch wenn er nicht wirklich denken und planen kann und nicht wirklich selbstlos ist. Diese Tatsache vertieft in meinen Augen die Achtung und den Respekt vor der Natur und vor diesem Insekt.

Foto:
Aufnahme: Ingo Arndt

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