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Biene in der Nahaufnahme

Fühlen Honigbienen Schmerzen?

Es ist kaum vermeidbar, dass bei der Arbeit an Bienenbeuten hin und wieder einzelne Bienen beim Aufsetzen von Zargen zwischen den Kästen eingequetscht werden. Nicht selten führt ein solches Unglück zu der Frage, ob Bienen Schmerzen fühlen können?

Jürgen Tautz
Bienenexperte und bee careful Kooperationspartner Prof. Dr. Tautz

Ein klassischer Standpunkt ist davon ausgegangen, dass Insekten generell kein Schmerzempfinden besitzen, da beobachtet werden konnte, dass sie sich nach einer Verletzung normal weiterverhalten. Dazu gibt es einen berühmten Versuch, den man sicherlich besonders dann ohne besondere Skrupel durchführt, wenn man von vorneherein davon überzeugt ist, dass Bienen keinerlei Schmerzen wahrnehmen. Der Versuch geht wie folgt: Eine Honigbiene sitzt an einem Tropfen Zuckerwasser und trinkt. Während sie trinkt, durchschneidet man ihren Körper, indem man den Hinterleib vom Brustabschnitt abtrennt. Der Hinterleib fällt herunter, die Biene bleibt stehen und trinkt weiter. Das Zuckerwasser tropft nun aus dem offenen Darm.

Selbstverständlich können wir nicht fühlen wie eine Biene, aber es lassen sich Kriterien zusammenstellen, über die wir von „höheren“ Tieren, wie Vögeln und Säugetieren und vor allem von uns selbst mit guten Gründen annehmen, dass sie mit Schmerzempfinden verbunden sind:

1. der Besitz spezieller Sinneszellen (Nozizeptoren), über die Schmerzen aufgenommen werden
2. Gehirnregionen, in denen unterschiedliche Sinneswahrnehmungen zusammengeführt werden
3. Nervenbahnen, über die Schmerzempfinden in integrierende Zentren im Gehirn weitergeleitet werden
4. die Wirksamkeit von Anästhetika, die entweder vom Organismus selbst hergestellt werden oder als Schmerzstillende Mittel von außen zugeführt werden
5. die Möglichkeit flexibel zu entscheiden, ob man für einen Vorteil einen Schmerz aushalten mag oder nicht
6. die Möglichkeit zum Selbstschutz, z. B. durch Lecken oder Kratzen betroffener Körperteile
7. die Möglichkeit zum assoziativen Lernen, indem ein Organismus lernt, dass nach einem zunächst neutralen Reiz ein Schmerzreiz auftritt. Als Resultat weicht der Organismus nach dem Lernvorgang bereits auf den ursprünglich neutralen Reiz hin aus
8. der Organismus kann lernen, wo er auf Anästhetika trifft, die seinen Schmerz lindern.

Da es nicht zu erwarten ist, dass bei Insekten entweder alle oder gar keines der Kriterien gefunden wird, haben Birch und Mitarbeiter (2021) ein Schema erarbeitet, das es erlaubt, anhand des Auftretens einzelner dieser Kriterien ein Schmerzempfinden mehr oder weniger wahrscheinlich zu machen. Danach ist es in der Tat so, dass für Insekten eine Schmerzempfindung angenommen werden kann.

Unterschiedliche Schmerzempfindung bei Insekten

Für unterschiedliche Insektenordnungen führen solche Untersuchungen zu unterschiedlichen Resultaten. Ganz oben in der angenommenen Schmerzempfindlichkeit stehen dabei Schaben und Fliegen mit sechs zutreffenden Kriterien der Liste. Für Käfer können lediglich zwei Kriterien dingfest gemacht werden. Hautflügler, zu denen auch die Honigbienen zählen, erfüllen lediglich ein Kriterium.

In einem sehr umfassenden Übersichtsbeitrag diskutieren Gibbons und Mitautoren (2022), was das alles tatsächlich bedeutet und sie kommen zu der vorsichtigen Schlussfolgerung, dass für Insektenordnungen, die etliche der Kriterien erfüllen, ein Schmerzempfinden angenommen werden kann. Dass wir aber andererseits zur Schmerzwahrnehmung bei Insektenordnungen, die nur ein oder zwei Kriterien erfüllen, wie den Käfern oder Hautflüglern, im Grunde derzeit keine Aussage machen können, da unsere Kriterienliste vielleicht noch sehr lückenhaft ist. Diese Untersuchung stellt also nicht fest, dass Honigbienen kein Schmerzempfinden besitzen. Aber eben auch nicht, dass diese Wahrnehmungsfähigkeit vorhanden ist.

Was immer auch weitere Forschungen auf diesem Gebiet ergeben werden, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, auch Insekten als unseren Mitgeschöpfen mit Respekt zu begegnen. Bei Imkern und Imkerinnen rennt man mit diesem Wunsch offene Türen ein. Die hohe Sympathie und die Sorgfalt im Umgang, die sie ihren Bienen entgegenbringen, machen die Frage nach „Schmerzempfinden oder nicht?“ bedeutungslos.

Literatur:
Birch, J., Burn, C., Schnell, A., Browning, H., Crump, A.: Review of the evidence of sentience in cephalopod molluscs and decapod crustaceans. Anim. Feel. General, 2, 2021.
Gibbons, M., Crump, A., Barrett, M., Sarlak, S., Birch, J., Chittka, L.: Can insects feel pain? A review of the neural and behavioural evidence. In: Advances in Insect Physiology, 2022.
https://doi.org/10.1016/bs.aiip.2022.10.001

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